18 Juni, 2006

Zur falschen Zeit

Die Debatte um die deutsche Leitkultur, die 2004 respektable Wellen schlug, war verstummt, nur gelegentlich plätscherte es noch ein wenig ans nationale Ufer. So schlug der hessische Ministerpräsident im Frühjahr 2005 vor, bei der Abifeier die Nationalhymne singen zu lassen. Doch so richtig störte das keinen.
Das ist in diesem Sommer unserer Fußballweltmeisterschaft anders, die Hymne wird ja dauernd gespielt. Was tut da die GEW? Sie will in Hessen eine Diskussion über dieses "furchtbare Lied der Deutschen" anzetteln mit einer Neuauflage der Broschüre, mit der sie sich 1990 in die Diskussion um die Hymne für das wiedervereinigte Deutschland gemischt hatte. Na, das hätte sie mal besser bleiben lassen! Denn nun fällt dieses ganze wiedervereinigte Deutschland über sie her. Mit derartigem Gegenwind hatte wohl selbst die sturmerprobte Linksgewerkschaft nicht gerechnet. Es war einfach der falsche Zeitpunkt. "Überflüssig" war noch das Netteste, was die GEW zu hören bekam, hinterwäldlerisch und querulantenhaft sei sie, sogar undemokratisches Geschichtsbewusstsein wird ihr vorgeworfen.

Nun war das Deutschlandlied nach dem Krieg keineswegs unumstritten, und der damalige Bundespräsident Heuss stimmte nur notgedrungen der neuen Hymne zu. Das lässt sich nachlesen (unter Quellen auf Wikipedia). Auch nach der Wiedervereinigung war es wohl eher Pragmatismus als Patriotismus, der die dritte Strophe zur Nationalhymne machte. Dass Hoffmann von Fallersleben den Text für sein "Deutschland über alles" 1841 ausdrücklich gegen die deutsche Kleinstaaterei schrieb, haben diejenigen wohl übersehen, die dem Bund am liebsten - so wie in der Bildungspolitik - gar keinen Einfluss zugeständen und nun von Herzen über die GEW lästern.
Die hat die Zeichen der Zeit aber ganz offensichtlich nicht erkannt: Deutschland will jetzt nicht grübeln, sondern feiern.

Nachtrag am 21. Juni:
Die GEW hat sich mittlerweile für den Fauxpas entschuldigt.
Nachtrag am 23. Juni:
Der Ehrenvorsitzende der bayerischen Gymnasialeltern fragt heute in einem Leserbrief, ob man die GEW nicht wegen Verunglimpfung der Nationalhymne anzeigen solle. So viel Aufmerksamkeit hatte die Gewerkschaft wohl in Jahrzehnten nicht - ob ein neuer PR-Berater dahintersteckt?