03 Februar, 2007

Schwarze Pädagogik

Erziehen durch Bloßstellen, das ist Pädagogik aus dem 19. Jahrhundert. "Die Lehrkraft kann nicht vermeiden, dass negative Bewertungen eines Schülers oder Kritik an seinem Verhalten den Mitschülern und über diese den Erziehungsberechtigten anderer Schüler bekannt werden. Es ist nicht verboten, die Ergebnisse einer Probearbeit in der Klasse bekannt zu geben. Dies darf aber nicht in einer Weise geschehen, die die Schüler in ihrer Würde und Selbstachtung herabsetzt. Vielmehr sollen dadurch die schwächeren Schüler angestachelt werden, den Anschluss an die besseren anzustreben."

Das Zitat stammt nicht aus dem 19. Jahrhundert, sondern aus dem Kommentar zu Artikel 85 (Weitergabe von Daten) des bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz in der Fassung vom November 2006. Hätte der bayerische Datenschutzbeauaftragte nicht öffentlich darauf hingewiesen, dass Noten zur Privatsphäre gehören und daher schutzwürdig sind, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, ins Schulrecht zu sehen. Und hätte mir einen Schock erspart. Wir hätten dann allerdings auch auf das Streiflicht in der Süddeutschen Zeitung vom 3.2.07 verzichten müssen, das so beginnt:

"Sofern die Erinnerung nicht trügt, braucht die Schule in ihrer Funktion als sado-masochistische Anstalt keinen Vergleich zu scheuen. Nicht, dass es seinerzeit Prügelstrafen gesetzt hätte, beileibe nicht, denn es handelte sich um ein gutbürgerliches Gymnasium, dessen Lehrkörper über weitaus subtilere Foltermethoden verfügte, die nicht die kleinste sichtbare Wunde hinterließen. Doch frage niemand, wie es seitdem in der Seele der Geschundenen aussieht. Noch heute erwachen sie schweißgebadet aus Albträumen, in denen sie wieder vorne an der Schultafel stehen, im Nacken den Herrn Oberstudienrat, der sein Opfer in einem gnadenlosen Kreuzverhör in Sachen Infinitesimalrechnung als hoffnungslosen Idioten entlarvt. Und in das Schweigen, das auf jede Frage des Lehrers erfolgt, in die stumme Verzweiflung mischt sich das Gelächter der Mitschüler. Es ist, als würde man vor den Augen aller auf glühendem Rost gegrillt.
Nicht weniger fürchterlich sind die Träume, die die Rückgabe von Extemporalen und Schulaufgaben ins Gedächtnis rufen. Darin spielen jene Pädagogen die Hauptrolle, die in der Verbreitung kollektiven Grauens ein besonderes Talent entfalten. ... "

Wahrscheinlich würden die bayerischen Pädagogen allesamt vor Schreck auf den Rücken fallen, verlangte man von ihnen, was Kurt Singer schon vor 30 Jahren tat: Schüler nur aufrufen, wenn sie sich freiwillig dazu melden. Singers - vergiffenes - Buch "Die Würde des Schülers ist antastbar" ist aktuell wie eh und je. Leider.