29 November, 2007

Vom Wunder der Interpretation

Jeder darf aus einer Studie herauslesen, was zu seinen Überzeugungen passt. Zu großer Kunstfertigkeit hat es dabei der Vorsitzende im Bildungsausschuss des bayerischen Landtags gebracht. Für Dr. Gerhard Waschler belegt IGLU den Erfolg des gegliederten Schulwesens.

Das kann er gar nicht herauslesen? Doch, er kann das. Ich zitiere - und lassen Sie sich bitte nicht aus der Kurve tragen: "Das hervorragende Abschneiden unserer Schülerinnen und Schüler in der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU bringt die hohe Qualität und Integrationskraft des gegliederten Schulwesens in Deutschland zum Ausdruck. ... Verantwortlich für dieses erfreuliche Ergebnis sind nämlich unsere - dank des gegliederten Schulwesens - speziell ausgebildeten Grundschullehrer ..."

Diese Logik verstehen Sie nicht? Dann sind Sie für das bayerische Bildungssystem nicht geeignet.

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Quellen:
Pressemitteilung der CSU-Landtagsfraktion vom 29.11.2007
IGLU-Ergebnis, zusammengefasst vom ZDF

07 November, 2007

Angst vor der eigenen Courage

Die arme Hauptschule! Nachdem es 30 Jahre lang mit dem Aufwerten nicht so recht geklappt hat, wollen immer mehr Kenner der Misere sie abschaffen. Mit dem größten öffentlichen Wirbel die 100 Rebellen aus Baden-Württemberg, unlängst die Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz und ganz aktuell Christine Strobl, Bürgermeisterin in München. Damit gerät sie allerdings bei ihrem Parteifreund Ulrich Pfaffmann an den Falschen. Der Bildungsexperte der SPD-Landtagsfraktion, der gemeinhin für das SPD-Bildungsprogramm trommelt, in dem die Hauptschule mit der Realschule zur Regionalschule verschmelzen soll, mutiert plötzlich zum Retter der bayerischen Hauptschule. Hat er den 56-seitigen McKinsey-Report über die Pisa-Siegerländer schon durch, der doch vorgestern erst rauskam, noch dazu auf Englisch? Hat er dort gelesen, dass die Schulstruktur völlig egal sei und hat deshalb sein Schulkonzept schleunigst revolutioniert?

Vermutlich hat er einfach in den Kalender geguckt. Dort steht für den 28. September 2008: Landtagswahl in Bayern. Und auch Hauptschuleltern machen Kreuzchen.

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Quellen:

Brief der "Rebellen aus Baden-Württemberg
Hauptschulauflösungspläne in Rheinland-Pfalz
Forderung von Christine Strobl, die Hauptschule abzuschaffen
Regionalschule der Bayern-SPD
Pressemitteilung von U. Pfaffmann vom 7.11.07
McKinsey-Bildungsbericht

04 November, 2007

Das Bayernabitur

Die Bayern, so heißt es, haben das anspruchsvollste Abitur Deutschlands und damit besonders schlechte Karten, wenn sie sich um einen Studienplatz bewerben. Den schnappe ihnen jeder dahergelaufene Bremer vor der Nase weg, weil er eine bessere Abiturnote hat, auch wenn er weniger weiß. Diesen zutiefst ungerechten Zustand müsse die KMK mit einem bundesweiten Zentralabitur ändern, meint die Landeselternvereinigung der Gymnasien, und sie ermuntert Kultusminister Schneider, sich entgegen der Parteiräson dafür einzusetzen. Schneider kontert mit einer Pressemitteilung, in der er das bayerische Abitur über den grünen Klee lobt und den beschwerlichen Weg dort hin als beste Vorbereitung für ein erfolgreiches Leben.

Schon vor mehr als 30 Jahren versuchte man, Ungerechtigkeiten auszugleichen. 1972 führte die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) die Bonus-Malus-Regelung ein. Allen Bewerbern aus Bundesländern, deren Landes-Abiturdurchschnitt über dem Bundesdurchschnitt lag, wurden bei der zentralen Vergabe knapper Studienplätze Punkte abgezogen. Die Bewerber aus Ländern, die darunter lagen, bekamen Punkte geschenkt. Ein Abischnitt von 1,5 konnte so auf 1,8 abrutschen oder auf 1,2 steigen, wenn das Land um 0,3 über bzw. unter dem Bundesdurchschnitt lag.

1974 klagten zwei Abiturientinnen aus Bayern, die nicht zum Medizinstudium zugelassen worden waren. Ihre Abi-Note war heruntergesetzt worden, weil die Noten der Bayern deutlich über dem Bundesdurchschnitt lagen. Schweres bayerisches Abitur? Wohl kaum. Die Bonus-Malus-Regel wurde 1978 durch die Länderquote ersetzt. So lange die Abiturnoten bundesweit nicht vergleichbar sind, konkurriert jeder Studienplatzbewerber mit den Abiturienten aus dem eigenen Bundesland um die Plätze, die das Land von der ZVS erhält. Wenn Universitäten die Studenten selbst auswählen, dürfen sie durchaus nach der Abiturnote gehen und bei Unentschieden auch würfeln, wie der bayerische Verfassungsgerichtshof der LMU im Sommer 2007 bestätigte. Sehr zum Ärger aller, die für bayerische Abiturienten gern einen Bonus gehabt hätten.

Aber warum eigentlich? Selbst wenn die bayerischen Studenten tatsächlich besser Mathe können - die aus NRW finden wenigstens allein den Weg zur Bibliothek!

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Quellen:
PM des bayer. Kultusministeriums vom 30.10.07
Verfassungsbeschwerde gegen die Bonus-Malus-Regelung: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Auswahlverfahren der ZVS (§ 32 des Hochschulrahmengesetzes)
Entscheidung des bayer. Verfassungsgerichtshofs vom Mai 2007 gegen Bonus für bayerische Abiturienten