29 April, 2006

Unpraktisch begabt

Leicht haben sie es ja nicht, die bayerischen Gymnasiasten. Da stecken Staat und Eltern viele, viele Euro in Lehrergehälter, Pensionen und Nachhilfeunterricht, viel mehr als bei den Hauptschulen. Sogar Geld vom Bund haben sie zur Finanzierung des G8 genommen, und nun? Alles vergebens, denn die Hauptschule bleibt Hauptsache. Sagt Joachim Herrmann, der CSU-Fraktionsvorsitzende im Landtag. Wenn sogar ein Studierter eine Lanze für die Hauptschule bricht, diese Schule für "praktisch Begabte", heben neue Zeiten an.

Demnächst werden wohl die Zehnjährigen beim Fahrradflicken, Pizzabacken und T-Shirt-Bügeln ihre praktischen Fähigkeiten beweisen, und wer darin gut ist, darf auf eine Hauptschule gehen.
Der bedauernswerte Rest muss dann halt aufs Gymnasium.


26 April, 2006

Papa Freistaat

Das bayerische Kabinett wird im Bundesrat vorschlagen, den Familienrichtern "bei der Erziehung schwer verhaltensauffälliger Kinder einen größeren Spielraum einzuräumen". Sprich: Die Familienrichter sollen den Eltern vorschreiben, welche Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sie annehmen müssen. Zeigen die Eltern sich störrisch, ist das Sorgerecht weg.

So sind sie, die Bayern: Der liebevoll sorgende Vater Freistaat sagt seinen Untertanen schon, wo es langgeht. Nun warten wir darauf, dass der Ministerpräsident den täglichen Speiseplan fürs Volk durchgeben lässt - eine nette Zusatzaufgabe für den umtriebigen Werner Schnappauf. Dann wäre endlich das Gemecker am Mittagstisch vorbei.

25 April, 2006

Monate für Väter

Warum denn einfach, wenn's auch umständlich geht? Warum verteidigt die Bundesfamilienministerin mit ebenso viel Beharrlichkeit wie Nervenverschleiß ihre beiden Vätermonate beim Elterngeld? Hätte sie den Vätern diese nicht als Bedingung für die Auszahlung des kompletten Elterngelds verkauft, sondern als Extrabonbon für männliche Helden, die sich in tapferer Selbstverleugnung an den Wickeltisch stellen, hätte keiner gemeckert.
Nachtrag:
Inzwischen plant van der Leyen genau das: Die Vätermonate werden extra bezahlt.

22 April, 2006

Mut zur Erziehung

Mut zur Erziehung hat sie, unsere Bundesfamilienministerin. Den Mut, gleich eine ganze Nation zu erziehen. Das Bündnis für Familie ihrer Vorgängerin war über Parteigrenzen hinweg erfolgreich. Da durfte Ursula von der Leyen sich natürlich nicht lumpen lassen.
Flugs konstruierte sie einen dramatischen Werteverfall - das kommt immer gut an - und lieferte auch gleich die Lösung: ihr "Bündnis für Erziehung". Da will sie mit Unterstützung der christlichen Kirchen Wertebausteine entwickeln und sie denen in die Hand drücken, die mit Kinder zu tun haben: Eltern, Lehrer, Erzieher.

Die erziehen doch längst, und das ganz ohne von der Leyens neue Bausteine? Also bitte! Das konnte die Ministerin ja nun wirklich nicht wissen. Sie hat sie doch gar nicht gefragt.

21 April, 2006

Finnische Verhältnisse

Im Grunde sind die bayerischen Schüler besser als die finnischen. Das hat Ministerpäsident Stoiber bei seinem Besuch in Finnland durchblicken lassen. Ein Land, das gerade mal zwei Prozent Ausländer zu unterrichten habe, und noch dazu solche, die ohnehin halbe Finnen sind, könne bei PISA mühelos glänzen.

Aber a Hund isser scho, der Stoiber Edmund: Er lässt die Migran-
tenfamilien, deren Kinder nicht Deutsch können, aus Bayern ausweisen. Vielleicht schickt er sie ja nach Finnland, damit die Finnen mehr von diesen lästigen Fremdsprachlern am Hals haben.
Und dann wird Bayern endlich Weltbester bei PISA.

Begnadete Zivilisation

oder: Edmund, der Unersetzbare

Die bayerische Landespolitik ist eine besondere Form der Regierungskunst, die beherrscht sein will. Die CSU weiß das und Edmund Stoiber kann das! Was soll das mit seinem Alter zu tun haben? Von Konrad Adenauer kann man wirklich viel lernen. In Bayern gelten nun mal andere Regeln, so gehen auch die Uhren etwas anders. Aber Bayern ist auf der Höhe der Zeit und die Regierungsbilanz hält jedem Vergleich national und international stand. Bayern hat"s eben drauf mit Lederhosen und Laptop. Bayerisches Leben ist schon ein Wert an sich, es ist eine besondere, ja begnadete Form der Zivilisation. Das muss man eben alles verstehen, wenn man in Bayern mitreden will.

Dr. Hans Simmelbauer, Passau

Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 21. April 2006, als Reaktion auf Zweifel eines SZ-Autoren, ob Stoibers erneute Kandidatur 2008 und eventuell sogar 2013 sinnvoll sei.